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05/05/2020
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Die aktuelle Corona-Pandemie sorgt für gravierende Einschnitte im Leben von Familien. Deutschlandweit besonders davon betroffen sind frischgebackene Eltern. Wenn ihr Kind nachgeburtlich aufgrund von gesundheitlichen Problemen in einem Perintatalzentrum behandelt werden muss, dann kann das im schlimmsten Fall bedeuten, dass Mutter und Vater bis auf weiteres vor verschlossenen Stationstüren stehen. Das erinnert an Zeiten aus den frühen 70er Jahren, in denen das Bewusstsein für die Wichtigkeit des engen Kontaktes zwischen Säugling und Eltern noch nicht im heutigen Maße vorhanden war.

„Zurzeit erreichen uns viele Anrufe und Nachrichten von verzweifelten und verunsicherten Eltern, die mit unterschiedlichen Beschränkungen konfrontiert werden, was den üblicherweise bestehenden Zugang zu den Stationen betrifft,“ berichtet Barbara Mitschdörfer, Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes „Das frühgeborene Kind“ e.V. Die momentanen restriktiven Regelungen reichen den Eltern zufolge von einer totalen Zugangssperre für beide, der Beschränkung des Zutritts auf Mütter, bis zum erlaubten Aufenthalt jeweils eines Elternteils im Wechsel mit eng vorgegebenen Zeitfenstern, die die Betroffenen vor große organisatorische Probleme stellen. Das gilt insbesondere für Familien, in denen es bereits kleine Kinder gibt, die zurzeit nicht außer Haus betreut werden können. Da ist auch die gelegentlich vorhandene Option einer Übertragung von Bildern des Kindes über Livestreams nur ein schwacher Trost, der den natürlichen und wichtigen Bindungsaufbau zwischen Eltern und Kind sowie die belegten förderlichen Effekte des Körperkontaktes nicht annähernd ersetzen kann.
„Wir haben Verständnis für das Dilemma der Stationen, ihr Personal sowie die zum Teil sehr unreifen Kinder auf einer Frühgeborenenstation vor drohender Ansteckung durch Corona-Viren zu schützen. Dennoch sollte das Maß der verhängten Restriktionen dem Umstand Tribut zollen, dass Eltern mittlerweile nicht mehr als Besucher, sondern als elementarer Bestandteil der Versorgungsteams zu begreifen sind,“ betont Barbara Mitschdörfer. Diese Erkenntnis basiert auf entsprechenden Studien zur entwicklungsfördernden Pflege in der Neonatologie und ist zudem Bestandteil einer wissenschaftlichen Leitlinie der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V.) zur psychosozialen Betreuung von Familien mit Früh- und Neugeborenen. „Das beinhaltet unseres Erachtens auch, betroffenen Familien gerade unter den aktuell herausfordernden Umständen zumindest phasenweise die gemeinsame Interaktion mit dem Frühgeborenen oder kranken Neugeborenen auf der Station in der Klinik zu ermöglichen,“ so Barbara Mitschdörfer.
Dabei ist es aus Sicht des Elternverbandes durchaus nachvollziehbar und angemessen, Eltern mit positivem COVID-19 Befund und Eltern, bei denen ein begründeter Verdacht besteht, weil sie wissentlich mit COVID-19 positiven Personen in Kontakt waren, zunächst von einem Aufenthalt auf Station auszuschließen, bis ein zweifaches negatives Testergebnis vorliegt. Einen Aufenthalt von Eltern der kleinen Patienten aber generell zu untersagen, erscheint in Anbetracht der nachteiligen Auswirkungen des Fehlens der Interaktion zwischen Eltern und Kind als ein zu gravierender Einschnitt. „Einen hundertprozentigen Schutz kann aktuell niemand gewährleisten,“ stellt der wissenschaftliche Beiratssprecher des Elternverbandes, Prof. Dr. Matthias Keller, fest. Als Ärztlicher Direktor der Kinderklinik Dritter Orden in Passau waren er und sein Team in den letzten Wochen maßgeblich mit der Frage befasst, wie ein Zugang auf Station in Anbetracht der aktuellen Situation sinnvoll zu regeln ist. 
Dort geht man zwar auch davon aus, dass Eltern generell infiziert sein könnten, selbst wenn noch keine typischen Symptome eingetreten sind. Diesem Umstand begegnet das Team aber nicht mit pauschal verhängten Kontaktsperre und komplizierten Besuchsregeln. Von einem Besuchsverbot sind Eltern grundsätzlich ausgenommen. Sie müssen sich bei ihrem Aufenthalt auf Station an strikte Hygienevorgaben wie z.B. auch das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes halten. Diese Vorgaben sind natürlich nicht nur von den Eltern, sondern auch von den Mitarbeitenden konsequent einzuhalten. Denn auch für letztere gilt, dass sie möglicherweise bereits unbewusst infiziert sein könnten.
Der Elternverband und die Deutsche Stiftung Kranke Neugeborene appellieren daher an Kinderkliniken, ihre zurzeit krisenbedingten Zugangsbeschränkungen für Eltern von Frühgeborenen und kranken Neugeborenen im Sinne der Familien noch einmal zu überdenken und entsprechend anzupassen, um den durch die Situation sowieso schon stark belasteten Betroffenen unnötiges zusätzliches Leid zu ersparen.